Leben

Nobelpreisträgerin liest in Ingolstadt

Vor der Eingangstür der Halle neun hat sich schon eine Menschenmenge angesammelt, die auf den Einlass wartet. Sie alle sind gekommen, um die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zu sehen. Der Saal füllt sich schnell. Unter das sonst eher ergraute Ingolstädter Kulturpublikum haben sich heute sogar ein paar wenige jüngere Leute gemischt. Die ersten holen sich schon eine Weinschorle oder Aperol Spritz oder kaufen sich noch schnell ein Buch, um es später signieren zu lassen. 

Mit etwas Verspätung geht es endlich los. Das licht im Saal erlischt, die Menge kommt langsam zur Ruhe.  Nach den Grußworten des Kulturreferenten kommt eine eigentlich unscheinbare Frau auf die Bühne, schwarz gekleidet, pechschwarzer Pagenkopf und roter Lippenstift. Trotz ihrer unscheinbaren Figur hat sie sofort eine unglaubliche Präsenz im ganzen Saal. Herta Müller hat die Bühne betreten.

Die  Schriftstellerin ist 1953 in Rumänien geboren. Ihre Familie gehörte der deutschen Minderheit der Banater Schwaben an. Als junge Frau arbeitete sie in einer Fabrik als Übersetzerin. Dort wollten Geheimdienstmitarbeiter sie zwingen, für die Securitate, den Nachrichtendienst, zu spionieren. Trotz mehrfachen Todesdrohungen lehnte sie dies immer wieder ab. So wurde sie in den folgenden Jahren immer wieder bedrängt. 1987 fasste sie den Entschluss aus der Diktatur in Rumänien nach Deutschland überzusiedeln. Sie kam in das Auffanglager Langwasser in Nürnberg, das, wie sie erzählt, direkt neben Hitlers Reichsparteitagsgelände stand. Dort wurde sie mehrfach vom Bundesnachrichtendienst verhört, der sie verdächtigte, eine Spionin zu sein. 

Diese schlimmen Erfahrungen hat sie unter anderem in ihrem aktuellen Erzählband „Der Beamte sagte“ verarbeitet. In diesem schreibt sie allerdings nicht einfach nur, sie erzählt ihre Geschichten anhand von Collagen. Die Schriftstellerin sagt, es sei schade, dass die in der Zeitung und in Werbeprospekten gedruckten Wörter einfach weggeschmissen werden. Also schneidet sie einzelne Wörter und Bilder aus und klebt diese neu zusammen. Dadurch gibt Herta Müller ihnen eine neue Bedeutung. Die Schriftstellerin erzählt zudem, dass sie diese Form der Poesie nicht in Rumänien hätte machen können. „Alles war einfach Druckerschwärze auf Papier, alles sah gleich aus. Hier in Deutschland gibt es so viele verschiedene Prospekte, Magazine und Zeitungen in vielen verschiedenen Farben und Schriftarten.“ Ihre Collagen leben nicht nur von den Wörtern, sondern auch davon, wie die Wörter aussehen, in welcher Farbe und Schriftart sie geschrieben sind.

Bei der Abendveranstaltung liest Herta Müller aber nicht nur aus ihren neuesten Collagen vor. Sie begibt sich unter anderem mit Ernest Wiechner, dem Moderator der Veranstaltung, in eine Art Interviewsituation. Dort erzählt sie sehr lebhaft mit ihrem markanten Akzent, wie es zu den Collagen gekommen ist, aus ihrer Zeit im Auffanglager und über ihre Erfahrungen in der kommunistischen Diktatur in Rumänien. Dabei betont sie immer wieder wie glücklich wir sein sollen in einer Demokratie und in Freiheit leben zu können. Das ganze macht sie auf eine Weise, die einen unglaublich in den Bann zieht. Über manche Erfahrungen kann die Schriftstellerin jetzt lachen, weil sie teilweise an Absurdität nicht zu überbieten sind. Allerdings merkt man immer noch, dass die Erlebnisse ihr sehr nahegehen.  Vor allem die Hürden, die sie nach ihrer Ankunft in Deutschland zu überwinden hatte. Sie musste sich beispielsweise entscheiden, ob sie nun politisch Verfolgte sei oder Verwandte in Deutschland hat. Sie sagte allerdings, dass sie es nicht könne, weil beides zutreffe. Für diesen Fall gab es aber kein Formular. 

Nach der letzten Collage erhebt sich die Menge langsam von den unbequemen Stühlen. Diejenigen, die etwas zum signieren dabei haben, stellen sich zügig vor einem kleinen Tischchen an. Schnell bildet sich eine lange Schlange. Währenddessen leert sich die Halle langsam. Noch ganz aufgepeitscht strömen die Besucher hinaus in die schwarze Nacht.

Text: Lorenz Schlungerer

Bild: Margarethe Kuffer

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