Die besten Schubladen überhaupt
Schubladendenken ist in unserer Gesellschaft etwas ganz Normales, Alltägliches und natürlich auch Verständliches. Wir brauchen es, um die Menschen in unserem Umfeld einordnen zu können, um dadurch zu wissen, wie wir mit ihnen umgehen können. Es geht nicht ohne, es ist fast schon zwanghaft für uns, andere Menschen in Schubladen stecken zu müssen. Solange die Person sich selbst mit diesen identifiziert, ist das auch vollkommen okay, nur ist das oft nicht der Fall. Immer und immer wieder drängen wir anderen Schubladen auf, oft sogar unbewusst. Dazu kommt, dass nicht alle Boxen gleichgestellt sind. Ihnen wird von uns ein Wert auferlegt und so werden sie grob in „richtige“ und „falsche“ Schubladen eingeteilt. Bei jedem sieht diese Einteilung natürlich ein wenig unterschiedlich – aufgrund verschiedener Erfahrungen und Einstellungen – aus. Wir alle sind Teil einer Gesellschaft und diese hat, als Ganzes gesehen, Wertvorstellungen, die dann wiederum unsere eigenen Vorstellungen beeinflussen, die letztlich einerseits an Privilegien und andererseits an Diskriminierung und Benachteiligungen erkennbar werden. Wenn man sich beispielsweise die Situation homosexueller Menschen aus einem gesellschaftlichen Blickwinkel genauer ansieht, kann man deutlich sehen, wie diese durch veraltete Vorstellungen eher einer „schlechten“ Schubladen zugeordnet werden und daher gewisse Diskriminierungen erfahren. Zwar können Personen, die sich der LGBTQIA*-Community zugehörig fühlen, in Deutschland weitestgehend offen leben. Dennoch kommt es noch zu Ungleichbehandlungen und Vorurteilen, oft auch durch oder in Form von Stigmatisierung. „Schwule“ sind sensibel, benehmen sich weiblich, sind feminin, schwach. Wer als Mann Nagellack trägt, kann doch nicht hetero sein, oder? Wäre ja auch total komisch, sich als Teil des „starken Geschlechtes“ die Nägel zu lackieren und dann auf Frauen zu stehen, weil in unserer Gesellschaft schließlich unser Erscheinungsbild unsere Sexualität bestimmt.
Des Weiteren stellen wir mit jedem Mal, wenn wir jemanden in eine Schublade stecken auch gewisse Erwartungen an diesen Menschen, selbst wenn er diesen Erwartungen nicht zustimmt. Beispielsweise erwarten wir von einer Person, die weibliche Körpermerkmale hat und sich feminin kleidet, dass diese eine Frau ist, „sie/ihre“ Pronomen benutzt, sich „wie eine Frau“ verhält, auf die „Frauen-Toilette“ geht und noch vieles mehr. Aber nun kann man jede, gerade genannte, Umschreibungen infrage stellen. Denn wer bestimmt was „weibliche“ Körpermerkmale sind, was „feminin“ bedeutet, wer letztlich eine Frau ist und wer nicht?
Es fällt uns so schwer, außerhalb dieser Schubladen, dieses Einordungssystems zu denken, dass wir die schlechten Seiten viel zu oft einfach ignorieren.
Wie Menschen fühlen, denken und handeln, kann auch dadurch beeinflusst werden, welchen sozialen Gruppen sie sich zugehörig fühlen und wie stark sie sich mit diesen identifizieren. So setzt sich die soziale Identität eines Menschen oftmals aus seinen Gruppenzugehörigkeiten zusammen. Die Gruppe wird zu einem wichtigen Teil des Selbst. Stigmatisierungen gegenüber der eigenen Community wirken sich somit zwangsläufig auf das eigene Selbstbewusstsein und Wohlbefinden aus. Dass diese Auswirkungen besonders bei Jugendlichen, die sich auch mit ihrer Identität noch in ihrer Entwicklung befinden, entsprechend schwerwiegende Folgen haben können, dürfte eigentlich niemanden überraschen. Dennoch mangelt es noch immer vielen an notwendiger Sensibilität und vor allem Toleranz für Lebensweisen abseits der Norm.
Aber was sind denn nun eigentlich die „besten Schubladen überhaupt“? Die, die am wenigsten Diskriminierung erfahren und am meisten Privilegien haben. Und dies sind in unserer heutigen Gesellschaft noch immer weiße, nicht behinderte, cis (=nicht trans), hetero Männer. Ihre Schublade trägt unter anderem auch die klangvolle Aufschrift „normal“.
Denn alles was von diesem Bild eines Menschen abweicht, gilt plötzlich als anormal. Und kleine Abweichungen von diesem Bild werden oft noch akzeptiert, aber sobald jemand in seiner Identität grundlegend anders ist, kann das fast schon wie ein Todesurteil in unserer Gesellschaft sein. Normale Personen, die es sich in ihrer Schublade schön gemütlich gemacht haben, sind mit dieser einhergehenden Privilegien aufgewachsen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Natürlich machen sie sich deshalb auch nicht die Mühe, sich auch nur einmal umzusehen nach denjenigen, die dieses Glück nicht haben. Kein Wunder, dass es in den „falschen“ Schubladen rumort und immer lautere Stimmen aus ihnen zu vernehmen sind, die gesehen werden wollen. Das mag für einige nun etwas „überdramatisiert“ oder nach einer „hypersensiblen Schneeflocke“ klingen, aber vielleicht liegt das auch daran, dass sie nicht richtig hinsehen und nicht bereit sind, endlich ihre Scheuklappen abzulegen.
von Daniel Hauptstock