Heimat,  Körper,  Leben

Durchblick in Hinblick auf die Zeit

„Ziehen Sie bitte diese Weste an und ziehen Sie jegliche metallischen Gegenstände aus. Außerdem muss ich Sie fragen, ob Sie schwanger sind oder ob Sie in der letzten Zeit geröntgt worden sind?“

Diese Fragen hat der ein oder andere sicherlich schon einmal gehört. Klar, das sind alles Anweisungen und Fragen, die man beantworten muss, bevor man in einen Raum mit einem Röntgengerät geführt wird. Und doch fragen sich vermutlich die wenigsten, was es mit dem Röntgengerät auf sich hat. Wie kommt es überhaupt dazu, dass unser Körper durchleuchtet werden kann? Ist das wirklich ungefährlich? Und seit wann gibt es überhaupt diese Möglichkeit, einen Menschen konkreter zu betrachten? 

Auf diese Fragen erhielt eine Klasse der Fachoberschule Ingolstadt im Deutschen medizinhistorischen Museum Ingolstadt am 15.10.2021 Antworten. Zunächst wurde uns die Funktion des Röntgens von Frau Schwimmer, unserer Physik- und Mathematiklehrerin, erklärt. Im Anschluss führte uns Frau Schliff, die örtliche Museumspädagogin in die Geschichte mit ihren hellen Seiten und Schattenseiten ein. Nun stellt sich aber weiterhin die Frage, wie der Prozess des Röntgens genau funktioniert?

In einem Röntgengerät befindet sich eine sogenannte Röntgenröhre, welche sich wiederum aus einer Kathode, einer Anode und vielen Elektronen zusammensetzt. Eine Kathode hat einen Elektronenüberschuss, d. h. sie ist eine Art Minuspol. Wenn es einen Minuspol gibt, dann ist ein Pluspol nicht weit entfernt. Der Pluspol ist in unserem Fall die Anode mit einem Elektronenmangel. Wir wissen, dass sich Negatives und Positives  anzieht und das ist der Grund, weshalb die Elektronen der Kathode zur Anode gelangen, um sozusagen einen „Gleichgewichtszustand“ zu erreichen. Die Elektronen rasen mit einer enormen Geschwindigkeit zur Anode, was wiederum eine immense Energie ist. Diese Elektronen werden allerdings bei der Anode abgebremst, aber die Energie der Elektronen geht  nicht einfach so verloren, denn sie wird in Form von elektromagnetischen Wellen an die Umgebung abgegeben – den sogenannten Röntgenstrahlen. Diese verlassen durch einen Spalt die Röntgenröhre und durchleuchten dann möglicherweise einen gebrochenen Fuß, den man ist beispielsweise der Eisglätte im Winter zu verdanken hat.

Mithilfe des Röntgens kann man den menschlichen Körper noch besser verstehen und Verletzungen eindeutiger diagnostizieren. Doch wie kam es dazu? Dazu gibt es eine kleine Geschichte… 

Es lebte einmal vor langer Zeit (ca. 126 Jahren) ein Physiker namens Wilhelm Conrad Röntgen. Dieser beschäftigte sich liebend gern mit besonderen elektrischen Entladungen unter bestimmten Bedingungen. Eines Abends experimentierte er mit einer Röhre eines Wissenschaftskollegen und stellte eine Vermutung auf. Wieso stellte er eine Vermutung auf? Obwohl die Röhre komplett  abgedeckt war , färbte sich ein nebenliegendes Blatt schwarz. Das ist nicht Zauberei, sondern Physik. Röntgen meinte für die Färbung wären Strahlen verantwortlich und genau das war die Geburtsstunde des Röntgengeräts. Anfangs wurden die Strahlen als „X-Strahlen“ bezeichnet, heute geht ihr Name auf ihren  Erfinder zurück. Eine Ausnahme sind die englischsprachigen Länder, vielleicht wollten manche nicht einsehen, dass ein deutscher Staatsbürger der erste Nobelpreisträger überhaupt war. Letztlich war diese Entdeckung revolutionär. Jedoch wurde sie nicht nur für medizinische Zwecke verwendet, sondern diente auch der Unterhaltung im alltäglichen Leben.

In Schuhgeschäften konnte man sich beispielsweise auf ein Pedoskop stellen. Dort wurden die Füße durch die Schuhe geröntgt, um zu schauen, ob der Schuh auch wirklich passt. Anstatt zu checken, ob der Schuh bequem ist, brauchte man eine Live-Übertragung. Doch damals war diese Besonderheit spektakulär – man konnte erstaunlicherweise einfach durch etwas hindurchsehen.

Schade, dass man kein Gerät erfunden hatte, um die Tasche des Lehrers zu durchleuchten, um einen kurzen Blick auf die Schulaufgaben zu werfen (natürlich nicht auf die Lösungen). Viele Kinder und Erwachsene probierten das Pedoskop aus. Jetzt stellen Sie sich mal vor: Sie gehen in ein Geschäft und lassen ihre Füße live röntgen. Wenn viele Personen anstehen, wird das Gerät so gut wie gar nicht ausgeschalten und hier würden bei vielen modernen Medizinern und Physikern die Alarmglocken klingeln. Denn das kann zu schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen führen. Elektromagnetische Strahlen sind nämlich in der Lage, andere Elektronen aus Atomen oder Molekülen zu entfernen bzw. zu stoßen und das ist keine witzige Version vom Billardspiel. Das führt dazu, dass sich die Zellen unseres Körpers nicht wieder erholen können und in der Folge auch ganz absterben. Im schlimmsten Fall werden wichtige Organe angegriffen und die endgültige Folge könnte der Tod sein. Diese Risiken bestehen aber nur bei einer zu hohen Strahlendosis. Ein regelmäßiges Röntgen ohne Schutz gehört dazu.

Unglücklicherweise sind viele Menschen an den gravierenden Folgen der häufigen Strahlenbelastung ums Leben gekommen. Nichtsdestotrotz wurden durch das Röntgen auch Menschen gerettet, sodass das Röntgen auch viele Vorteile besitzt.

Zur Zeit des 1. Weltkrieges – ich hoffe doch, Sie wissen, wann das war? – wurden viele Soldaten in sogenannten Lazaretten versorgt. Eines dieser Lazarette gehörte der Frau von Herzog Carl Theodor. Carl Theodor selbst war ein Herzog in Bayern, der eine Augenklinik in München im Jahre 1895 gründete. Nach seinem Tod übernahm seine 2. Ehegattin Marie-José die Klinik und wandelte es zur Zeit des 1./2. Weltkrieges in das bereits erwähnte Lazarett um. 

Der Ehefrau wurde zum Dank für die Verpflegung der Soldaten ein „kleines“ Tagebuch geschenkt. Darin finden wir aber nicht persönliche Geheimnisse aus alter Zeit, sondern ein Buch mit Patientenakten inklusiv Röntgenbilder. Überreicht wurde ihr dieses Büchlein von den geheilten Soldaten. Das ist ein Beweis, dass das Röntgen auch viel Gutes bewirkt hat und somit viele Personen vor dem Tod gerettet hat. Kann man jetzt sagen, dass die Zahl an Opfern berechtigt ist, wenn im Gegenzug auch Menschen gerettet wurden? War es jetzt doch kein Fehler, das Röntgengerät zu verwenden?

Die Zeit kann nicht zurückgedreht werden, aber es kann zurückgeblickt werden und aus Fehlern gelernt werden. Über die Jahre hinweg wurde das Röntgen immer sicherer: mehr Schutzmaßnahmen, gezieltere Strahlung, präzisere Anwendung von Strahlendosen, Minimierung des Röntgens nur auf den nötigsten Fall. Es werden strengere Kontrollen und Untersuchungen durchgeführt, man berät sich und Experten arbeiten mehr miteinander. Das bewirkt, dass durch das gegenseitige Unterstützen und Korrigieren mehr Fehler vermieden werden. Klar ist, dass vieles erst mit einem temporären Abstand besser verstanden wird. Weder Herr Wilhelm Conrad Röntgen noch Ärzte oder Röntgenassistenten konnten damals die Konsequenzen des Röntgens vorhersagen. Sie waren auch nur Menschen und nicht allwissend. Ähnlich ergeht es uns momentan im Umgang mit der COVID19-Pandemie. Wir wissen nicht genau, was gut oder schlecht ist bzw. was vielleicht komplett sinnlos ist. Jedoch lernen wir durch neue Erfahrungen. Wissenschaftler, Spezialisten, Politiker aber auch Menschen, denen wir tagtäglich begegnen, versuchen ihr Bestes zu geben. Auch wenn sie in manchen Situationen nicht genau wissen, was das Beste ist. „Mensch zu sein“ bedeutet, nicht perfekt zu sein und auf alles eine Antwort zu haben. „Mensch zu sein“ bedeutet sogar mehr, Fehler zu machen, diese einzugestehen und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir sind keine künstlichen Intelligenzen und das müssen wir auch nicht sein. Wir müssen nur einen Blick auf die vergangene Zeit werfen und daraus lernen.

Text und Bilder: Diana Emgrunt

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